Die fünf Weisen reisen zu Gott, Teil 3

3 Ein Ort namens Weihnachten

 

 

Was ist Weihnachten? „Kurt Marti, ein Schweizer Pfarrer und Schriftsteller hat das einmal so ausgedrückt: „Die Ware Weihnacht ist nicht die wahre Weihnacht.“

 

So ritten und gingen sie eine lange Zeit. Sie zählten die Tage nicht, aber sie kamen ihnen mittlerweile doch sehr zahllos vor. Und jeder Tag ähnelte dem vorigen. Sie standen jeden Morgen auf, rieben sich die Nacht aus den Augen, tranken einen Schluck Wasser und suchten dann auch schon ihren Stern am Horizont. Er leuchtete und schien sich leicht zu entfernen, als ob er sie drängen wollte, die Reise wieder aufzunehmen.

Und eines Morgens glaubten sie zu bemerken, dass sich der Stern nicht mehr bewegte.

„Hast du das gesehen?“

„Was?“

„Der Stern steht am Firmament.“

„Das kann nicht sein, du täuschst dich.“

Und nun sahen sie alle angestrengt hoch an den Himmel und einer glaubte es dem anderen. Der Stern stand still, bewegte sich nicht mehr. Dies konnte nichts anderes bedeuten, als dass sie am Ziel angelangt waren. Oder zumindest, dass sie bald ankommen würden.

Wie das Ziel wohl aussehen wird? Woran sie es erkennen werden? Wie Gott ist?

 

Sie beschleunigten ihr Marschtempo. Dennoch dauerte es noch zwei Tage bis sie in eine größere Siedlung kamen. Einige Hütten kündigten den Ort an, in dem sonst die Hirten lebten. Die Menschen schienen sich jetzt alle in der Stadt aufzuhalten, strömten auf dem Marktplatz zusammen, als sie die Reisenden sahen. Sie jubelten ihnen zu und freuten sich, denn wie gesagt, zu diesen Zeiten gab es noch wenige Reisende.

Die Bewohner bestaunten die Tiere und die Reisenden gleichermaßen und fragten woher sie kamen. Sie redeten durcheinander. Manches konnten die Gesandten auch gar nicht verstehen, weil ihnen der Dialekt nicht  vertraut war.

Dann stellte sich der Dorfälteste vor. Er heiße sie willkommen, so beteuerte er.

Die Gesandten fragten, wie der Ort heiße.

Und die Anwohner sagten: „Weihnachten.“

Die Reisenden konnten mit dieser Bezeichnung nichts anfangen, hatten niemals von einem Ort namens „Weihnachten“ gehört. So nahmen sie die Information lediglich zur Kenntnis. Sie konstatierten, dass sie in einem Ort namens „Weihnachten“ angekommen waren. Sie stellten bald fest, dass es schwierig war, eine Unterkunft zu finden, denn viele Menschen aus der Umgebung waren bereits herbeigeströmt. Der Dorfälteste erzählte ihnen, dass alle Menschen hier gezählt werden sollten.

„Wer wird zählen?“, fragten sie.

„Die Beamten.“

„Warum wird gezählt?“

„Weil der Kaiser es so will.“

Sie erfuhren, dass es neben ihrem König auch noch andere Könige, ja Kaiser gebe, die nicht einmal einen Überblick über ihr Volk haben und es deshalb zählen wollten.

Jeder Schäfer weiß doch, wie viele Schafe in seiner Herde sind, so wollten sie argumentieren. Aber sie ließen es bleiben.

Da sie Geld hatten, fanden sie auch eine Unterkunft.  Der Wirt witterte ein gutes Geschäft und quartierte sie neben dem Rathaus in eine Herberge ein. Ihre Reittiere wurden im Stall versorgt. Sie bedankten sich und machten sich etwas frisch.

Die weise Frau legte ein neues Make up auf und die Männer rasierten ihre Bärte.

Dann trafen sie sich vor der Herberge und machten einen ersten Streifzug durch die Stadt.

Die Stadt war nicht groß, die Häuser lediglich ebenerdig, die Straßen nicht gepflastert. Die Anwohner hatten die Gewohnheit, ihren Unrat einfach auf die Straße zu werfen. So empfanden sie die Menschen als etwas rückständig, denn in ihrem Königreich hatte man schon längst die Mülltrennung eingeführt.

 

„Wir suchen einen Gott“, sagten sie zu den Bewohnern.

Doch diese zuckten nur mit den Schultern. Entweder sie verstanden die Reisenden nicht oder sie konnten nichts mit der Bezeichnung Gott anfangen.

Jedenfalls erhielten sie keine hilfreiche Antwort.

So durchstreiften sie Weihnachten. Aber sie fanden nichts Besonderes. In diesem Ort herrschte eher langweilige und selbstverständliche Normalität. Und trotzdem schien es ihnen, als ob die Menschen auf etwas Bestimmtes warteten. Vielleicht auf die Zählung. Vielleicht auf den Gott.

Jedoch: Sie konnten sich über diesen Ort und seine Menschen keine rechte Meinung bilden.

Für die Gesandten war die Tatsache wichtig, dass der Stern über dem Ort stand und blieb. Er bewegte sich nicht mehr.

Eines Abends hatten sie im Gasthof gut gespeist und langweilten sich etwas, da schlug die weise Frau vor, noch einen Abendspaziergang durch den Ort zu unternehmen. Die Männer tranken ihre Weinhumpen aus und zusammen machten sie sich auf den Weg. Die Nacht war klar, am Himmel erstrahlten viele Sterne. Und natürlich fiel ihnen ganz besonders ihr Stern auf. Er schien noch um einiges intensiver zu strahlen als sonst.

„Was bedeutet das?“, fragte einer und deutete hinauf auf den Himmel zu ihren Stern.

„So kündigt sich ein Ereignis an“, meinte ein anderer.

„Hat dies etwas mit Gott zu tun?“

„Ja, denn es ist ein göttlicher Stern.“

Sie diskutierten noch, da zogen gestikulierend einige Männer an ihnen vorbei. Es waren Hirten und sie sagten, dass heute ein Kind geboren sei. Die Weisen wussten nicht, ob sie das richtig verstanden hatten. Ein Kind? Na und? Es wurden immer wieder Kinder geboren.

Aber die Hirten beteuerten ihnen, es sei ein besonders Kind, Engel hätten es ihnen bekundet.

Die Weisen lächelten etwas, denn Engel gab es nicht. Das war Aberglaube und die Menschen hier schienen nicht sehr weise zu sein.

Doch sie hatten an diesem Abend nichts vor und es war ihnen ohnehin langweilig, so dass nichts näher lag, als den Hirten zu folgen. Sie frönten der Neugierde ihres Königs.

Etwas außerhalb des Ortes lag eine kleine Hütte, dort wo eben sonst die Hirten untergebracht waren, wenn ihre Tiere auf der Weide grasten. Es war ein Stall. Vor dem Stall standen die Hirten herum und gestikulierten. Ja, hier sei das Kind zu finden.

Die Weisen bahnten sich ihren Weg durch die Menschenmenge. Sie betraten den Stall. Und als sie ihre Augen an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, sahen sie das Kind in einer Krippe liegen.

Aus der Krippe hatten sonst ein Ochse und ein Esel gefressen. Die standen nun etwas verstört daneben und mussten ihr Fressen vom Boden aufklauben.

Die Weisen nahmen das Kind zur Kenntnis. Sie sprachen mit Vater und Mutter und beglückwünschten sie.

„Was für einen süßen Sohn haben Sie da.“

„Passen Sie gut auf ihn auf.“

„Wie soll er heißen?“

„Ein Kind ist doch etwas Schönes.“

Sie schenken den Eltern sogar etwas Gold, damit sie ihrem Sohn Kleidung kaufen konnten, denn er sah reichlich armselig aus, wie er da, in ein paar Lumpen gehüllt, in der Krippe lag.

Dann kehrten die Weisen zurück in ihre Herberge, nahmen noch einen Dämmerschoppen zu sich und legten sich nieder.

In der Nacht schreckte einer von ihnen hoch. Er weckte die anderen. Er behauptete, nun habe er eine Vision gehabt. Oder eine Erkenntnis. Oder eine Vermutung. Oder eine Ahnung.

„Das Kind ist unser Gott“, sagte er ganz leise. Fast ein bisschen verschämt.

Die anderen lachten, dann schimpften sie ihn. Wahrscheinlich hätte er zu viel Wein getrunken.

„Ein Gott kommt nicht als Kind auf die Welt.“

„Gott ist anders. Irgendwie großartig. Doch kein Kind.“

Aber der Mann bestand auf seiner Einschätzung.

„Glaubt mir, das ist Gott. Ich fühle es. Nein, ich weiß es.“

Die anderen lachten ihn erneut aus und legten sich wieder zum Schlafen hin.

Der Mann aber stand auf, irrte durch das Dorf und kam zielsicher, obwohl er nicht auf die Richtung geachtet hatte, bei dem bewussten Stall an. Alles war dunkel. Die junge Familie schlief anscheinend. Die Hirten waren wieder zurückgekehrt zu ihren Herden. Aber der Stern hing genau über dem Stall, war zum Greifen nahe und strahlte mit einer überzeugenden Helligkeit, die bis in sein Herz reichte.

Aus diesem Grund warf er sich auf den Boden und versuchte den Gott anzubeten, den er gefunden hatte. Er wusste nicht so richtig, was er sagen sollte, er hatte noch nie so intensiv mit einem Gott gesprochen.

Dann sagte er lediglich: „Ich will mit Dir gehen.“

Er kehrte zurück in ihr Wirtshaus, kramte einen Zettel heraus und schrieb darauf:

„Lieber König. Ich habe den Gott gefunden. Er ist ein Kind und lebt in einem Ort namens Weihnachten.“ Dann holte er seine Taube, befestigte die Botschaft an ihrem Fuß und ließ sie fliegen.

Am nächsten Morgen berichtete er seinen Begleitern davon. Sie wunderten sich über seine Ignoranz und ärgerten sich auch ein bisschen über seinen Alleingang. Verstehen konnten sie ihn schon gar nicht.

„Ein Kind ist kein Gott“, brummte einer.

„Doch dieses Kind ist unser Gott“, entgegnete der andere.

Aber sie konnten sich nicht einigen.

So kam es zur Trennung. Sie einigten sie sich darauf, dass der verirrte Weise bei seinem Kind-Gott blieb und sich die anderen wieder auf den Weg machten, den richtigen Gott zu suchen.

Eine gewisse Trauer ergriff sie. Sie konnten sich plötzlich nicht mehr verstehen. Sie hatten die gemeinsame Vision verloren.

Sie überlegten, was wohl ihr König mit der Taubenbotschaft anfangen würde. Aber die Taube war schon längst abgeflogen.

Die vier verbliebenen Weisen tranken daher ihren Kaffee aus, bezahlten die Zeche und packten ihre Satteltaschen.

Sie sahen sich noch einmal um und wollten dem Zurückgebliebenen zuwinken, aber der war bereits verschwunden. Er hatte sich auf den Weg zum Stall gemacht. Dort wollte er sich aufhalten und dem Kind-Gott dienen.

 

Aussagen – Nachdenkens wert

 

Mein sehnlichster Weihnachtswunsch: Kain und Abel würden einen Nichtangriffspakt schließen und alle Menschen wären Brüder.

Marianne Sägebrecht (*1945), dt. Schauspielerin u. Kabarettistin

 

Vermeiden Sie den Weihnachtsansturm, und kommen Sie schon jetzt in unsere Kirche. Freuen Sie sich nicht erst zu Weihnachten, dass Christus geboren ist. Freuen Sie sich schon jetzt darüber.

unbekannt

 

Wird Christus tausendmal zu Bethlehem geborn, Und nicht in dir; du bleibst verlorn.
Angelus Silesius (Johann Scheffler, 1624-1677), deutscher Dichter, Arzt, Priester

 

 

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